Im Oktober 2017
habe ich einen Bescheid erhalten, wonach ich das juristische Staatsexamen
nachzuschreiben hätte, wenn ich zum Vorbereitungsdienst (Referendariat)
zugelassen werden wolle. Ich hatte um eine Ausnahme davon gebeten, weil ich bereits
in einem ausländischen Staat (innerhalb Europas) eine Zulassung zur
Anwaltsausbildung habe. Unter gewissen Voraussetzungen werden ausländische
Absolventen zum Referendariat zugelassen, wenn deren „Kenntnisse und Fähigkeiten den durch die bestandene
staatliche Pflichtfachprüfung ... bescheinigten Kenntnissen und Fähigkeiten
entsprechen.“ Mit Pflichtfachprüfung ist das Staatsexamen gemeint.
Das OLG entsprach
meinem Antrag nicht. Weil das nächste Staatsexamen auf Anfang März 2018 festgesetzt
war, hatte ich vier Monate Zeit, mich auf eine Prüfung vorzubereiten, auf die
sich die meisten Mitstreiter über ein Jahr vorbereiten. Um die Sache auch nicht
zu einfach für mich zu machen, musste ich im November zudem noch einer
Vollzeitstelle nachgehen.
Wer versucht, Tipps, Hinweise oder Erfahrungen zu einem solchen Unterfangen zu finden, hat schnell alle verfügbaren Quellen abgegrast. Ein paar Artikel und Beiträge habe ich zwar hier und da gefunden. Der ganz große Tenor ist jedoch, dass eine Vorbereitung unter einem Jahr kaum möglich ist. Man findet Lernpläne für eine Vorbereitung von einem Jahr, YouTube-Videos und ganze Bücher für eine perfekte Vorbereitung. Was aber, wenn man nur vier Monate Zeit hat?
Vergangene
Woche erhielt ich den Bescheid, dass ich bestanden habe.
Falls es unter
euch jemanden gibt, der aus irgendwelchen Gründen vor dem Problem steht, das
Staatsexamen in wenigen Monaten schreiben zu müssen, möchte ich euch hier meine
Erfahrungen weitergeben. Ich
plane nicht, weitere Beiträge dazu zu erstellen. Auf Fragen und Hinweise
antworte ich in den Kommentaren gerne.
Mit was kann ich
euch nicht dienen? Ich kann euch keine Anleitung geben, wie ihr ein
Prädikatsexamen in vier Monaten schreiben könnt. Ich schreibe noch nicht einmal
für jemanden, der gute Noten will. Ich schreibe für Kandidaten, die bestehen
wollen und nur wenige Monate zur Vorbereitung haben.
Ein
kommerzielles Repetitorium habe ich nicht gemacht. Allerdings habe ich mir viele
kostenlose Videos von Jura-Online auf YouTube angeschaut. Vielen Dank Sören!
Fangen wir an.
I. These 1: Man braucht mindestens ein Jahr
Vorbereitung, um das Staatsexamen zu bestehen
Es scheint ein
fast unwiderlegbares Axiom mit bibelgleicher Gültigkeit: Für das Staatsexamen
muss mindestens ein Jahr gelernt werden. Erstaunlich ist, wie wenig Juristen
eine konkrete Frage dazu beantworten können: Wieso? Wieso brauche ich nicht 11 Monate? Oder 9? Wieso wird nicht
unterschieden, ob ich das Staatsexamen einfach bestehen möchte, oder ein
Prädikat erreichen will?
Ebenso
interessant ist, wieso bei der Zeitspanne nicht nach Fähigkeiten, Motivation,
Wissen, Selbstdisziplin oder Wille unterschieden wird. Es kann offensichtlich
nicht sein, dass die Vorbereitungszeit für einen dauerhaft strebsamen
Studenten, der ein Prädikatsexamen anstrebt, gleich viel Zeit benötigen wird,
wie ein notorischer Querulant, der Vier-Gewinnt
spielt (ordnet mich in Kategorie 2 ein).
Wenn ihr das
Buch Outliers von Malcolm Gladwell
gelesen habt, kommt euch dieses Phänomen vielleicht bekannt vor. Gladwell beschrieb
in seinem Buch die 10 000-Stunden-Regel. Angeblich habe Gladwell geschrieben, es
brauche 10 000 Stunden Übung, um eine neue Fähigkeit zu lernen. Um das in
Perspektive zu Stellen: Unter der Annahme, dass ihr jeden Tag im Jahr, auch an
Wochenenden, acht Stunden mit gleich hoher Intensität übt, kommt ihr bei 360
Tagen auf 2 880 Stunden. Ihr müsstet also beinahe dreieinhalb Jahre mit dieser
Intensität lernen, um eine neue Fähigkeit zu lernen. Machen wir einen
Realitätscheck: Wenn ein
5-jähriger das erste Mal vor einem Schachbrett sitzt, braucht er dann dreieinhalb
Jahre, um die Regeln zu verstehen und gegen mich zu spielen? Ich denke nicht.
Nichts desto
trotz wird die 10 000-Stunden-Regel immer wieder zitiert. Dabei schrieb Gladwell
etwas Anderes. Er untersuchte, wie lange es dauert, Expertenniveau zu erreichen. Dieser Teil ging irgendwann einfach unter.
„10 000 Stunden“ geht viel einfacher über die Lippen, als „10 000 Stunden, um
Expertenniveau zu erreichen“.
Das hindert Autoritäten
natürlich nicht daran, ihre Kenntnisse weiterzugeben, selbst wenn Sie das Buch
nie gelesen – oder schlimmer: nicht verstanden – haben. Wie verrückt diese
ganze Geschichte ist, zeigt Josh Kaufmann in seinem TED-Vortrag. Es ist ein unglaublich guter Vortrag,
vor allem, wenn ihr eine neue Aufgabe in kurzer Zeit bewältigen müsst. Wollt ihr
wissen, wie lange es dauert, um die Grundlagen einer neuen Materie zu beherrschen?
20 Stunden.
Ich bin der
Überzeugung, dass in Bezug auf das Staatsexamen etwas Ähnliches geschah.
Irgendjemand fand einmal für sich heraus, dass er ein Jahr brauchte, um das
Staatsexamen mit guten Noten abzuschließen. Weil wir alle gerne stille Post
spielen, wurde daraus irgendwann ein Jahr
Vorbereitung auf das Staatsexamen, dann mindestens
ein Jahr auf das Staatsexamen und irgendwann man kann das Staatsexamen nicht bestehen, ohne mindestens ein Jahr
vorbereitet zu sein. Aber es gibt genügend Beispiele von Kandidaten, die es
in weitaus weniger Zeit geschafft haben.
II. These 2: Das Staatsexamen gehört zu den
schwierigsten Klausuren überhaupt. Beweis dafür ist eine regelmäßige 30%–Durchfallquote
Ich habe zwei Probleme mit dieser
Aussage.
1. Die Zahl an
sich ist nominell richtig. Dennoch stellt sie die Realität falsch dar.
Machen wir ein Gedankenexperiment. Stelle dir eine Stadt vor, wir nennen sie Autostadt. In Autostadt gibt es 10
Autofahrer, alle haben verschiedene Autos. Alle 10 Fahrer unternehmen am
gleichen Tag eine Fahrt. Hubert
Arbeitsfroh fährt morgens zur Arbeit, als völlig überraschend sein linker
Vorderreifen platzt, das Auto zu schleudern beginnt und – ohne Hubert weiter zu
verletzen – in eine Laterne schlittert. Frau
Schusselig steigt kurze Zeit später in ihr Auto, verwechselt Brems- mit
Gaspedal und rammt das ihr vorstehende Auto. Ein paar Stunden später steigt Heino Immerdicht, prallgefüllt, nachdem
er 10 Bier seinen Rachen hinunterschüttete, in sein Auto und fährt los. Er zündet
sich eine Marlboro an, telefoniert mit seiner blonden Kollegin und versucht
gleichzeitig, den Radiosender zu wechseln; er übersieht eine Ampel und rast in ein
entgegenkommendes Auto (auch hier bleiben alle unverletzt).
Statistisch
gesehen gibt es an diesem Tag eine Unfallquote von 30%. Würde irgendjemand von
euch diese 30%-Statistik ernst nehmen? Es ist vollkommen klar, dass der Unfall von
Heino Immerdicht nicht mit dem Unfall
von Hubert Arbeitsfroh zu vergleichen
ist. Frau Schusselig fuhr noch nicht einmal richtig los.
Aber die
Einwohner von Autostadt sind
beunruhigt. Drei Unfälle an einem Tag? Das kann nicht mit rechten Dingen
zugehen! Es muss an Autostadt liegen!
Journalisten beginnen, über die gefährlichen Straßenzustände zu berichten. „Die
gefährlichsten Straßen Deutschlands“, schreibt die Tageszeitung am nächsten
Morgen. Politiker fordern finanzielle Unterstützung, um den Zustand der
heruntergekommenen Straßen zu verbessern. Ampeln seien nur unzureichend
gewartet. Und sowieso waren die Straßen schon immer schlecht geplant.
Zwei Monate
später ist die Unfallstory vergessen. Doch von nun an werden die Einwohner,
nach spannenden Geschichten ihrer Stadt gefragt, voll Stolz und Ehrfurcht von
der „gefährlichsten Stadt Deutschlands“ und einer „30%-Unfallquote“
erzählen.
Das ist
menschliches Verhalten und es geschieht allen von uns. Gedankliche Abkürzungen passieren
uns vor allem dann, wenn die unterliegenden Daten nur mit Mühe aufzufinden oder
schwierig erklärbar sind. Das ändert aber nichts an der Realität. Ob ich einen
Sachverhalt für richtig oder falsch erachte, interessiert den Sachverhalt nicht.
Meine Theorie ist dem Sachverhalt egal. Wichtiger noch: Selbst, wenn alle
Menschen dieser Erde meine Version des Sachverhalts glauben, ändert es den
Sachverhalt nicht. Die Erde wurde nicht deswegen flach, weil die Menschheit
davon überzeugt war.
Und so verhält
es sich mit der Durchfallquote im Staatsexamen. Es wird nicht unterschieden,
wer durchgefallen ist. Wie denn auch? Die Examinatoren wissen nicht, wer von
den Kandidaten Prüfungsangst hatte, nicht antrat, krank oder nicht vorbereitet
war oder gar nicht antreten wollte. Sie wissen ebenso wenig, welche Schreiberlinge
gut vorbereitet und in guter Verfassung waren, aber dennoch nicht bestanden
haben. Daher landen alle Kandidaten im selben Pool und deswegen stimmt die
30%-Durchfallquote nominell. Aber wie ihr gesehen habt, sind 30% nicht gleich dreißig Prozent.
2. Mein zweites
Problem mit dieser These ist das Folgende: Nehmen wir einmal an, dass alle
Kandidaten tatsächlich gleich geeignet wären (stellt euch eine Halle voller
Klone vor) und diese zu 30% durchfallen. Ist das wirklich eine schlechte Quote?
Probieren wir es
aus. Ich biete euch eine Wette an, bei der ihr eine Münze werfen könnt. Kopf,
ihr gewinnt, Zahl, ich gewinne. Hier kommt der Clou: Ihr dürft die Münze so
bearbeiten, dass sie zu eurem Vorteil fällt. Genaugenommen wird sie bei 10
Würfen 7 x Kopf zeigen und 3 x Zahl. Würde jemand von euch denken „Lieber
nicht, ich habe ja eine 30% Wahrscheinlichkeit zu verlieren.“ Natürlich nicht. Wenn
30% aller Kandidaten durchfallen, heißt das gleichzeitig, dass 70% aller
Kandidaten bestehen.
Für mich war
daher eine wichtige Erkenntnis, dass ich die 30%-Quote nicht zu ernst nahm.
Wenn die Quote auf ihre Einzelteile heruntergebrochen wird und ein wenig einfaches
Wahrscheinlichkeitsdenken angewendet wird, sehen die Chancen objektiv
betrachtet gar nicht schlecht aus. Die große Kunst besteht darin, sich nicht
von psychologischen Faktoren täuschen zu lassen. Für mich war die Vorbereitung
daher insofern einfacher, weil ich nicht täglich von Leuten an der Universität
umgeben war, die sich gegenseitig verrückt gemacht haben.
III. Vorbereitung auf die Lernerei
Ihr müsst euch vorstellen,
dass mir ein Großteil der zu lernenden Rechtsgebiete zwar bekannt war,
allerdings hatte ich mich seit mehr als fünf Jahren nicht mehr damit
beschäftigt. Ich begann also erst einmal damit, mir das Gesetz meines
Bundeslandes herauszusuchen, in dem geregelt ist, was abgefragt werden darf,
und was nicht. Die Ergebnisse unterteilte ich in einzelne Blöcke. Danach suchte
ich nach Quellen, die mir einen Indikator gaben, welche Gebiete im Staatsexamen
wie oft abgefragt wurden. Denn es ist wahrscheinlicher, dass ich mich in drei
Klausuren Zivilrecht (ZR; Öffentliches Recht ist ÖR) mindestens ein Mal mit
dem Schuldrecht Allgemeiner Teil (AT) auseinandersetzen muss, als mit Erbrecht.
Nach meinen Schätzungen – die wohlgemerkt nicht auf wissenschaftlicher
Genauigkeit basieren – ca. sieben Mal mehr. Wenn ich nun einen Monat lang
Schuldrecht AT lerne, sollte ich ca. vier Tage Erbrecht lernen. Das war meine
Herangehensweise.
Als ich meine
Analyse fertig hatte, stellte ich etwas fest, mit dem ich nicht gerechnet hätte:
Ich würde es zeitlich nicht schaffen, alle drei Themengebiete (ZR, ÖR und
Strafrecht) abzuarbeiten. Allerdings war dies zum Bestehen auch nicht nötig.
Ich musste insgesamt drei Klausuren bestehen, davon mindestens eine aus dem ZR
und mindestens eine aus entweder ÖR oder Strafrecht. Ich musste mich für
eines der zwei Gebiete entscheiden.
Meine Logik war,
dass ich im besten Fall zehn Tage bräuchte, um Strafrecht zu bestehen (und das
war bereits seeeeeeeeehr großzügig gerechnet). Ich könnte diese Tage auch nutzen,
um je fünf Klausuren im ZR und ÖR zu schreiben. Warren Buffett bringt diese Herangehensweise
wie Folgt auf den Punkt: Diversifikation ist angebracht für Investoren, die
nicht wissen was Sie tun. Wer hingegen eine Sache sehr gut versteht, ist
verrückt, wenn er sein Geld in ihm unbekannte Unternehmen anlegt, nur um sein
Risiko zu streuen. Oder wie Andrew Carnegie sagte: „Lege all deine Eier in
einen Korb und bewache den Korb.“
So beschloss ich,
Strafrecht nicht zu lernen und die Klausur erst gar nicht anzutreten.
Das war meine
erste kluge Idee. Denn so viel vorab: Ich habe alle ZR- und ÖR-Klausuren
bestanden. Strafrecht trat ich schlussendlich zwar an, hatte aber am Tag zuvor
das erste Mal überhaupt das StGB aufgeschlagen. Ich erreichte 2 Punkte (stellt
euch vor, ich hätte 10 Tage mehr Zeit gehabt!).
IV. Lernen
Im November
konnte ich erst nach Feierabend lernen, was mir ca. vier Stunden pro Tag lies. Hier
eine weitere Erkenntnis: Vier Stunden fokussiertes, zielorientiertes Lernen, ist
effektiver als 10 Stunden Wischiwaschi-Lernerei. Ich kann dazu jedem die Bücher
Fokus von Dan Goleman
und Deep Work von Cal Newport empfehlen.
Weihnachten und
Silvester war ich zwar anwesend, verbrachte die Tage aber vor allem mit Lernen.
Alkohol war vier Monate lang Tabu. Ab Januar ging ich ins Fitnessstudio, um
meinen Kreislauf in Schwung zu bringen und meinen Rücken darauf zu trainieren, mehrere
5-Stunden–Klausuren ohne Beschwerden durchsitzen zu können. Ich stand also drei
Mal pro Woche morgens um fünf Uhr auf, war um sechs Uhr laufen und um acht Uhr
in der Bibliothek. Ich experimentierte, wie sich verschiedenes Essen auf meine
mentale Fähigkeit auswirkte. Zucker war auf ein Minimum reduziert, insbesondere,
wenn ich am nächsten Tag Klausur schrieb. Fisch, Hafer, Nüsse und Obst waren
Dauernahrung, ich trank nur Wasser oder kalten Tee, dafür literweise.
Nun zum
eigentlichen Lernen. Ich teilte mir meine Wochen auf einzelne Tage in ZR und ÖR
ein. Bis Dezember lernte ich auch an Sonntagen, allerdings nur leichte Kost
(Karteikarten und Lesen). Ab Januar nahm ich mir die Sonntage frei.
Die ersten
Wochen nutzte ich vor allem, um einen Überblick zu bekommen. Skripte von RA Hofmann und die Bücher von Winfried Schwabe
bildeten den Kern. Ganz selten schlug ich weitere Quellen nach. Ich begann
direkt Klausuren zu schreiben, wenn auch nicht sofort unter Echtzeit. In meinen
Klausuren bin ich nie durchgefallen,
sondern vermerkte noch nicht ganz,
und notierte mir abschließend, was ich hätte tun müssen, um zu bestehen. Ein
Trick, den ich ebenfalls aus einem TED-Talk habe.
Das brachte mich
auf meine zweite Kluge Idee. „Invertieren, immer invertieren.“ Diese Weisheit geht auf den
Mathematiker Jakobi zurück. Wenn Jakobi vor einem Problem stand, drehte er es
einfach herum. Für das Staatsexamen angewandt bedeutet das, nicht zu schauen,
wie man besteht, sondern festzustellen, durch welche Fehler man garantiert
durchfällt und diese Fehler zu vermeiden. Ich suchte also nach Hinweisen, was
eine schlechte Klausur ausmacht. Hier ein paar Dinge, die ich fand und wie ich
sie anging:
1. Schlechte
Schrift und schlechter Stil:
Studien zeigen, dass die
Laune eines Lesers sinkt, wenn er einen komplizierten Text liest (und ihr fragt
euch, weshalb Juristen so griesgrämig sind). Das ist ein Grund, wieso ich die
Bücher von Winfrid Schwabe so gerne las und Kommentare vermied. Weil die
Klausur von Hand geschrieben werden muss, gehört dazu selbstverständlich auch
eine lesbare Schrift. Also kaufte ich mir Füller und Tintenkiller. Ich suchte
nach Büchern und Videos zu Schönschrift (kein Witz!) und schrieb regelmäßig mit
der Hand. Ich achtete auf einheitliche Formatierung, Nummerierung, Abstände, Leerzeichen...
Alles mit dem Ziel, dies im Staatsexamen automatisiert zu haben.
2. Gutachtenstil
nicht beherrscht:
Ich las mehrerer Bücher zum
Gutachtenstil und fragte mich auf Karteikarten ab, was der genaue Fehler eines
beispielhaft falsch formulierten Obersatzes war. Ich lernte die Obersätze für wichtige
Normen auswendig.
3. Niederschrift
ohne fertige Lösungsskizze:
Sören von Jura-Online nennt das
„Springen von Phase 2 auf Phase 3.“
Ich kann euch gar nicht sagen, wie wahr das ist. Einmal im Staatsexamen musste
ich aus Zeitgründen ohne fertige Skizze losschreiben. Das Blatt sah am Ende aus
wie Waterloo, nachdem Bonaparte auf Blücher traf. Schreiben ist einen fertig
formulierten Gedanken zu Papier zu bringen. Im Staatsexamen ist das meist der
Fall, wenn du auf eine konkrete Frage eine konkrete Antwort geben kannst. Das
ist überlebenswichtig, vor allem wenn es um (Doppel!-) Inzidentprüfungen geht.
4. Gewissen-Beruhigen statt effektivem Lernen:
Für mich ist eine Erklärung,
wieso so viele Kandidaten über ein Jahr Vorbereitung brauchen, weil sie gar
nicht bemerken, wie viel Zeit sie eigentlich mit Chatten, Spielen, Videos
schauen, Kaffee trinken und Quatschen verbringen. Ich könnte es nicht auf eine
exakte Formel bringen, aber Menschen, die es schaffen, mehrere Stunden eine
Aufgabe ununterbrochen zu meistern, haben langfristig gesehen einen (enormen!)
Vorteil. Man sieht es nicht in einem Lebenslauf, es ist kein Titel, den man vorzeigt,
und meistens werden es andere noch nicht einmal erkennen. Aber es ist da, ein
realer Faktor. Wenn ihr einen Kandidaten seht, der noch ein Jahr Zeit bis zum Staatsexamen
hat, aber alle sieben Sekunden auf seinem Smartphone herumhackt – wettet auf
einen anderen Kandidaten. Deshalb hatte ich mein Handy nie am Schreibtisch. Ich
nahm mir morgens genau vor, was ich am heutigen Tag zu erledigen hatte. Auch
wenn ich oft nicht alles geschafft hatte, wusste ich am Abend, dass ich etwas
getan hatte und was es war. Im Gegensatz dazu war der Großteil meiner
Lernkollegen zwar quantitativ länger vor den Büchern. Wenn sie netto mehr als zwei
Stunden pro Tag gelernt haben, würde es mich aber wundern.
Es ist dasselbe Prinzip wie bei den
Statistiken: Herr Staatsexamen ist es egal, wie viele Stunden ihr in der
Bibliothek zum Lernen wart. Elf Stunden oder zwei Stunden macht für Herr Staatsexamen
keinerlei unterschied. Er wird euch das niemals fragen. Ihm ist es egal, ob ihr
euch gut oder schlecht fühlt, Kommentare lest, Repetitorien macht, euch mit
anderen austauscht oder alleine in der Kammer sitzt. Alles, was ihn
interessiert, ist, ob ihr seine Fragen beantworten könnt.
Im Großen und
Ganzen habe ich sicher 10% der Zeit mit der Aneignung solcher Soft-Skills verbracht. Und ansonsten
lernte ich einfach. Wie erörtert, war meine Herangehensweise weniger, alles
wissen zu wollen, sondern (1) herauszufiltern, was wissenswert ist, (2) diese
Dinge möglichst ohne grobe Fehler bearbeiten zu können und (3) alles andere
wegzulassen. Ich schrieb regelmäßig Klausuren, allerdings vor allem zum Ende
nur noch in Lösungsskizzen. Von Dezember bis Mitte Februar schrieb ich mehrere
Blöcke von Klausuren unter Echtzeit-Bedingungen (5 Stunden, an den Tagen, an
denen ich auch meine Klausuren im Staatsexamen schrieb, beginnend um 8.30 Uhr
morgens). Das half mir, zu beobachten, wann ich essen und wieviel ich trinken
musste/ konnte, um hydriert zu bleiben/ nicht zu oft auf die Toilette zu
müssen. Eine Uhr hatte ich immer dabei. Ich plante alles, was ich planen
konnte.
Insgesamt werde
ich wohl um die 20 Klausuren unter Examensbedingungen geschrieben haben. Gelöst
habe ich sicher doppelt so viele. Das sind wiederum mehr Schätzungen, setzt
euch also keinen falschen Anker. Das Ziel muss die richtige Mischung aus
Quantität und Qualität sein. Sören von Jura-Online
hat das wiederum sehr gut auf den Punkt gebracht: Ihr schreibt im Staatsexamen
Klausuren, also müsst ihr Klausuren schreiben können. Viele Kandidaten verbrauchen
zu viel Zeit für Theorie und passivem Lernen. Das ist Prokrastination, denn die
wirkliche Aufgabe ist, so schnell wie möglich Klausuren lösen zu können. Die
Aufgabe ist gerade nicht, sich Unsummen an Wissen über einzelne Gebiete
anzueignen.
Ungefähr im Dezember
habe ich die Bücher von Winfried Schwabe entdeckt. Diese nutzte ich das erste
Mal, um mich in bis dahin noch unbekannte Themen einzuarbeiten. In den letzten
Tagen vor dem Staatsexamen wollte ich eigentlich noch einmal mehrere
Examensblöcke schreiben. Ich entschied mich aber stattdessen dafür, alle Bücher
von Schwabe noch einmal von vorne bis hinten durchzugehen. Und das war meine
dritte gute Idee.
Ich arbeitete
beinahe alle Fälle noch einmal durch, von BGB AT, bis zum Gesellschaftsrecht. Letztlich
hatte ich damit sowohl für ZR, als auch ÖR ein Intensiv-Repetitorium in ein
paar Tagen absolviert. Abends blätterte ich durch meinen Schönfelder – Norm für
Norm – und schaute nach, ob ich zu jedem Paragraphen zumindest eine Kleinigkeit
Schreiben könnte. Mit jedem neuen Paragraphen hatte ich mehr Munition. Ihr
glaubt gar nicht, wie oft ich in der Klausur eine Gestaltung hatte, die ich erst
vor ein paar Tagen mit Schwabes Büchern löste. Ohne die Bücher von Schwabe
hätte ich das Staatsexamen sicher nicht geschafft.
V. Fazit
Erfahrungsgemäß
kommt Literatur nie ganz so bei der Leserschaft an, wie der Autor sich das
wünscht. Ich möchte daher hier noch einmal hervorheben:
1. In
keiner Art und Weise will ich sagen, dass das Staatsexamen mit vier Monaten
Vorbereitungszeit immer geschafft wird. Was ich sage ist, dass es unter den
richtigen Bedingungen möglich ist, das Staatsexamen in weitaus weniger Zeit als
einem Jahr zu bestehen. Mit Bedingungen meine ich zum Großteil eine
richtige Methode zur Vorbereitung.
2. Schon
gar nicht will ich eine allgemeingültige Anleitung geben. Lernen ist
persönlich, ihr müsst euren eigenen Rhythmus finden. Ich hoffe jedoch, euch mit
meinen Hinweisen helfen zu können.
3. Ich will
deutlich sagen: Ich halte das System des Staatsexamens für absolut ungeeignet,
die Fähigkeit eines Anwalts vorauszusagen. Das sagt die juristische Zunft im
Übrigen auch selbst – wieso sonst müssen angehende Anwälte, nachdem sie das 1. Staatsexamen
bestanden haben, erst noch zwei Jahre praktische Ausbildung im Referendariat
mit anschließend noch einer 2. Prüfung machen? Was ist dann der Zweck des
ersten Examens? Es ist kein Zufall, dass fast alle Länder innerhalb Europas von
solchen Systemen abgekommen sind. Oder sind schweizerische, belgische und englische
Anwälte weniger qualifizierte Juristen?
4. Es
ist möglich, in ein paar Monaten genügend Wissen anzuhäufen, um das Staatsexamen
zu bestehen. Wesentlich dafür ist, das Richtige richtig zu lernen.
5. Das
Staatsexamen ist kein Mysterium. Hinter all dem Lärm geht die Quintessenz verloren:
Am Ende des Tages handelt es sich einfach um sechs Klausuren, die am Ende des
Studiums absolviert werden müssen. Versteht mich bitte nicht falsch: Das Staatsexamen
ist nicht einfach. Aber es könnte durchaus schwieriger gestaltet sein. Stellt
euch vor, es gäbe nur eine Klausur, die über euer weiterkommen entscheidet.
Oder ihr müsstet zwingend alle sechs Klausuren bestehen. Ihr werdet weitaus Schwierigeres
in eurem Leben schaffen. Für andere Menschen verantwortlich sein. Kinder
erziehen. In Sinnkrisen stecken. Nehmt das Staatsexamen ernst, aber seht es in
gesunder Relation zu anderen Dingen im Leben.
6. Und
zum Schluss: Dinge zu tun, weil Andere dies so tun, ist einfach nicht gut
genug. Das betrifft Repetitorien, Lehrveranstaltungen, Bücher, Materialien... Aber
vor allem das Leben selbst. Die Quintessenz der Universität, so war es immer
gedacht, ist, selbständig nachdenken zu können. Charlie Munger sagt, wenn du die Gegenansicht nicht besser
vertreten kannst, als deine eigene, solltest du deine Klappe halten. Wenn euch
das nächste Mal jemand über den Weg läuft der behauptet, man müsse ein Jahr auf
das Staatsexamen lernen – fragt ihn, wieso das so sein soll. Ist die Antwort
nicht überzeugend, sagt das mehr über euer Gegenüber, als über den Stand eurer
Vorbereitung aus.